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Geschichte des Bahnhofs Chur
Zeitalter der Eisenbahn – der Bahnhof
Das Aufnahmegebäude von 1878. Kernbau der heutigen Anlage, dahinter die hölzerne Einsteighalle.
© Stadtarchiv ChurDie grossen Bauunternehmungen der Vierzigerjahre stellen die Alte Kaserne auf dem Rossboden (Waffenplatzstrasse 58) und die Alte Kantonsschule oberhalb der Altstadt dar. Die Alte Kaserne wurde gemäss INSA 1840–1841 erbaut und dient heute als Zeughaus. Die Alte Kantonsschule entstand 1847–1850 nach Plänen von Felix Wilhelm Kubly neben dem Priesterseminar St.Luzi und markierte mit diesem den östlichen Abschluss der gebauten Stadt. In den Sechzigerjahren musste dieser Bau sowie das 1901–1902 errichtete Konviktgebäude einer ausgedehnten neuen Kantonsschulanlage von Max Kasper weichen. Für die Fünfzigerjahre des 19. Jahrhunderts ist der erste Kreuzspital-Neubau zu nennen, der 1852–1853 durch Pater Theodosius Florentini im Gäuggeli errichtet wurde. Nach dem Bezug des Neubaus an der Loestrasse (1910–1911, Architekten Schäfer und Risch) diente das Haus als Mädchenwohnheim («Marienheim»; heute Neubau Graubündner Kantonalbank). Unweit des Untertors, an der Steinbruchstrasse 6–8, erstellte eine private Gesellschaft 1859 eine Gasfabrik, die 1895 von der Stadt übernommen und 1911 durch einen Neubau an der Rheinstrasse 186 und 188 ersetzt wurde. Das Gebäude wird seither als städtischer Forstwerkhof genutzt. Zu den städtebaulich folgenreichsten Unternehmungen der Churer Geschichte gehört der Bau des Bahnhofs, der am 30. Juni 1858 als Teil der Strecke Rheineck–Chur der Vereinigten Schweizerbahnen (VBS) eingeweiht wurde.
Festlegung des Standorts
© Stadtarchiv ChurDer Eröffnung gingen verschiedene Auseinandersetzungen um die Festlegung des Standortes voraus. 1854 beklagt ein Einsender im Liberalen Alpenboten die Gleichgültigkeit, mit der die Mehrheit jener, die kein direktes eigenes Interesse daran hätten, der Standortfrage gegenüberstünden. «Ihnen kommt es nicht darauf an, ob der Bahnhof etwas entfernter oder näher an den Stadttoren zu liegen kommt. Wir dagegen erblicken darin einen sehr wesentlichen Unterschied.» Nur wenn der Bahnhof die Ortschaft unmittelbar berühre, könne diese daraus Vorteile für ihren Handel und ihre Industrie ziehen. Es sei ein Irrtum zu meinen, dass um den Bahnhof herum eine neue Stadt entstehen werde. Chur werde mit der Eisenbahn nicht ein zweites Basel oder Zürich, das sich bis hinunter an den Rhein vergrössere. «Diejenigen Eigentümer, die zu vorschnell wagen, ausserhalb und rings um die den Bahnhof einschliessenden Mauern Bauten per Spekulation aufzuführen, werden dies zu bald bereuen. Sollte – wovon uns der Himmel bewahre – dort gar eine neue Stadt entstehen, so würden wir darin nur den Ruin der jetzigen Stadt erblicken; die neue würde sich nur auf Kosten der alten erheben und diese letztere nahezu ganz verlassen werden. (…) Im wahren Interesse der Stadt liegt es daher, den Bahnhof an einem ihrer Thore zu haben, mit freien und leichten Zugängen behufs Ersparung unnützer Kosten bei Abgang unserer Landesprodukte und Waaren. Was die Baugesellschaft betrifft, so erblicken wir für sie darin, dass sie ihn etwas näher rückt, als sie zu beabsichtigen scheint, wenig Unterschied in den Kosten; die Expropriationskosten bleiben ungefähr die nämlichen, es würde sich also nur um den Werth des Bodens und die Schienenlegung für etwa 500 Meter mehr handeln und wenn, wie man hoffen darf, sie der verhältnismässig sehr grossen Opfer, welche die Stadt zum Behuf des Zustandekommens der Unternehmung gebracht hat, Rechnung tragen will, so wird sie nicht anstehen, zur Belohnung derselben Chur zu einer Kopfstation zu machen.»
Ausgehend von der Bahnhoffrage entwirft der Einsender Konzepte für eine Modernisierung der Stadt. Die Ausdehnung sei durch ein Baugesetz zu regeln. Solange man für die Privatbauten keine Vorschriften habe, laufe man Gefahr, in tausend von den Nachbarn angehängte Prozesse verwickelt zu werden. Das Eigentumsrecht sollte seine Grenzen haben.
«Besonders dürften strengere sanitarische und polizeiliche Vorschriften erlassen werden; es sollte nicht erlaubt sein, gewisse Strassen, Gässchen und Höfe zu einem Herd der Ansteckung und zu Sammelplätzen von allerlei Unrath zu machen, vor denen die mit solcher schönen Aussicht gesegneten Hausbewohner sich nicht ans Fenster wagen dürfen; die Eigentümer sollten verpflichtet sein, sie reinlich und bei anständigem Aussehen zu erhalten.»
Wenn der Bahnhof erst einmal stehe, brauche es die Niederlage im Kaufhaus nicht mehr. Dann könnte man nichts Besseres tun, als das Rathaus abzubrechen und an dessen Stelle einen Marktplatz zu errichten. Die Kantonsschule (Nicolai-Schulhaus) liesse sich in ein weit angemesseneres und schicklicheres Rathaus umwandeln.
Untere und obere Bahnhofstrasse
Bahnhofplatz 1915–1920. © Stadtarchiv ChurFür die Bahngesellschaft scheint der schliesslich bezogene Standort ausserhalb der Stadt, der auf dem Hemmi-Plan von 1835 mit «Sagen Wiesen» bezeichnet wird, verhältnismässig früh festgestanden zu haben. Jedenfalls markieren die im Stadtarchiv erhaltenen Projektpläne in etwa stets das gleiche Gebiet. Als Bezugspunkte für die Strassenführung zur Altstadt kamen vier Tore, beziehungsweise Orte ehemaliger Tore in Frage: das Untertor (abgerissen 1861), das Neue Tor (Kaufhaus-Tor, 1834, beseitigt vermutlich 1851; heutiger Postplatz), das Totentor (heutiger Fontanaplatz) und – von der Seite her – das Obertor. Das Untertor war der traditionsreiche Einlass für die von der St.Luzisteig herführenden Reichsstrasse (zu jener Zeit für die Landstrasse von Feldkirch und Zürich), das Obertor für die Untere Strasse vom Splügen- und Bernhardino-Pass sowie für die Obere Strasse vom Julier- und Maloja-Pass her.
Der Expropriations-Grundriss vom 7. März 1854 richtet das Aufnahmegebäude auf die Aquasanastrasse (Schlangengasse) aus, die unter Abbruch mindestens zweier Bauten zu einer gerade geführten Strasse verbreitert worden wäre. Das Aufnahmegebäude ist parallel zum Geleise und schräg zur Strasse eingezeichnet. Zielpunkt der Strasse ist der Ort der heutigen Villa Unterer Brunnengarten (Obere Plessurstrasse 5) und indirekt das Obertor. Damit klassiert sich die Strasse als Verbindung vom Bahnhof zu den Transitstrassen über die Pässe; die Stadt wird im wörtlichen Sinn links liegen gelassen.
Der im Monat darauf entstandene Situationsplan von Vestner übernimmt die Verbindungs-Strasse, zeigt jedoch für den Standort des Aufnahmegebäudes drei Varianten auf. Entscheidende Neuerung ist die zusätzlich ausgebaute Verbindungsstrasse vom Bahnhof-Gelände zum Neuen Tor. Eine der Varianten stellt das Aufnahmegebäude zwischen die beiden Verbindungsstrassen. Jacob Balzer gibt die Einsteighalle zwischen den beiden Strassen wieder; daneben führt er Remisen- und Werkstättebauten auf. Besonders hervorzuheben ist die Verbindung der Strasse zum Neuen Tor mit der Wagenremise. 1856 wird das Konzept der beiden Bahnhofstrassen bestätigt, wobei für den genauen Verlauf Varianten erscheinen. 1858 entstand das Projekt einer Strasse, die den Mühlbach entlang des Bahnhofgeländes umfährt (heutige Alexanderstrasse). Ihren Ausgangspunkt hat sie an der «Strasse vom Bahnhof zum Neuen Thor». Charakteristisch für das Verhältnis des realisierten Bahnhofgeländes zur Umgebung ist seine Umfassung mit der Gürtelstrasse und der späteren Alexanderstrasse sowie die Ausformung der beiden Bahnhofstrassen. Die auf den Transitverkehr ausgerichtete heutige Engadinstrasse wurde Obere, jene auf die Stadt zuführende heutige Bahnhofstrasse Untere Bahnhofstrasse genannt. Auffällig ist die Abdrehung der Unteren Bahnhofstrasse. Einer geraden Verbindung zwischen Aufnahmegebäude und Neuem Tor scheint das Grundstück «zur Zufriedenheit» des Bürgermeisters Christian Bener im Wege gestanden zu haben; eine gerade Fortsetzung der nördlichen Poststrassen-Achse hätte ein Aufnahmegebäude im östlichen Bereich des heutigen Güterschuppens bedingt.
Auf dem zweiten Hofer-Plan, der in die Zeit zwischen 1910 und 1913 zu datieren ist, erscheinen die Untere und Obere Bahnhofstrasse noch unter diesen Bezeichnungen. Durch den Bau des Hotels Steinbock und die Allee-Bepflanzung vermochte sich erstere in der Folge als Bahnhofstrasse gegenüber letzterer durchzusetzen. Das aus einem Wettbewerb hervorgegangene Hotel Steinbock markierte den Eintritt vom Bahnhofplatz zur Innenstadt. Der stolze Bau wurde 1899 bis 1901 für eine Aktiengesellschaft ausgeführt; Architekt war Emanuel von Tscharner. 1962 musste das Hotel dem Warenhaus Globus weichen.
Aufnahmegebäude und Bahnhofplatz
© Stadtarchiv ChurAuf die Eröffnung der Bahnstrecke hin, hatte man vorerst lediglich ein provisorisches Aufnahmegebäude errichtet; einen hölzernen Güterschuppen nach Entwurf des Direktionsarchitekten der VSB Johann Jakob Breitinger. 1860 entstand ein definitives Aufnahmegebäude, dann eine Einsteighalle, vermutlich ebenfalls nach Plänen Breitingers. Es war ein schlichter, zweigeschossiger Fachwerkbau mit Satteldach, der sich in verändertem Zustand bis heute erhalten hat: 1876 wurde er an die heutige Gürtelstrasse Nr. 33–35 versetzt und auf ein neues Erdgeschoss gestellt; seither dient er als Wohn- und Geschäftshaus. «Am 11. Dezember 1874 machte das Eisenbahn- und Handelsdepartement die Generaldirektion der VSB darauf aufmerksam, dass der Kleine Rat des Kantons Graubünden wegen des zunehmenden Fremdenverkehrs ein neues Aufnahmegebäude in Chur wünsche.» Etwa ein Jahr später wurde zwischen der Generaldirektion der VSB und dem St.Galler Architekten Hans Bösch ein Vertrag über die Ausführung eines Neubaus abgeschlossen. Am 1. November 1878 war dieser bezugsbereit. Die alte Einsteighalle blieb bestehen. Sie wurde durch ein Perrondach mit Oberlicht mit dem neuen Aufnahmegebäude verbunden. Um 1905 entstand im Südwesten das Dienstgebäude Bahnhofplatz Nr. 2.
Das Aufnahmegebäude von 1878 ist heute noch in Funktion, musste aber im Laufe der Zeit mehrere Umbauten über sich ergehen lassen. 1906–1907 wurde gegen das Dienstgebäude hin der Bahnhofbuffet-Trakt mit zweigeschossigem Kopfbau als Abschluss angebaut. Gleichzeitig schob man die Fassaden der Seitenflügel um etwa 3 Meter gegen den Bahnhofplatz vor. Der Kopfbau der Erweiterung und die beiden Seitenflügel erschienen nun mehr als rustizierte Risalite. Die Wandnischen seitlich der Eingangsportale wurden zu Fenstern erweitert. Beim grossen Bahnhofumbau von 1926–1928 fügte man nach Nordosten hin fünf weitere Achsen an. 1948 war das ein Jahr später in Chur durchgeführte Eidgenössische Schützenfest Auslöser weiterer Änderungen. Die Rustizierung von 1906–1907 wurde entfernt, das Bahnhofbuffet in Richtung Dienstgebäude und Perron erweitert. Im Innern fand ein durchgreifender Umbau statt. Auf das Eidgenössische Schützenfest von 1985 hin wurde das Aufnahmegebäude neu gestrichen.
Im Jahre 1896 eröffnete man die Linie Landquart–Chur–Thusis der Rhätischen Bahn. Mit Bundesratsentscheid war die Schmalspurbahn gezwungen worden, auf einen eigenen Churer Bahnhof zu verzichten und sich statt dessen in den VSB-Bahnhof einzugliedern. Das Projekt Moser von 1894 sah eine Einfahrt von Landquart her zwischen Titthof und Stickerei vor sowie eine geradlinige Weiterführung vom Güterbahnhof aus Richtung Thusis. Realisiert wurde eine Einfahrt von Landquart parallel zur VSB-Linie; die Linie Richtung Thusis führte in einem grossen Bogen im Bereich der heutigen Oberalpstrasse um den Friedhof Daleu herum. Mit der Eröffnung der Albulabahn im Jahre 1903 wurden die Gleisanlagen der RhB im Bahnhof Chur erweitert.
Die Gestaltung des Bahnhofplatzes wurde zu einem wichtigen Anliegen des 1871 gegründeten Stadtvereins, der sich über lange Jahre hinweg kaum wie eine zweite Churer Institution mit städtebaulichen Fragen befasste. Als seinen Hauptzweck betrachtete der Verein die Verschönerung der Stadt und Umgebung sowie die Förderung der Verkehrsverhältnisse. Der erstgenannte Punkt steht auch heute noch in seinen Statuten. Eine Spezialität des Stadtvereins war die Förderung von Alleen. 1912 befasste er sich ausführlich mit den Problemen des Gedeihens und Nicht-Gedeihens von Alleebäumen. Finanzielle Unterstützung erhielten die Anliegen des Stadtvereins durch ein Legat des Villa Planta-Erbauers Jacques Ambrosius von Planta, das dieser zuerst dem Stadtverein und dann der Stadtbehörde übertrug.
Zwischen dem Stadtverein und den Vereinigten Schweizer Bahnen fanden Verhandlungen über die Bepflanzung des Bahnhofplatzes statt, die sehr schwierig verlaufen zu sein schienen. 1879 erhielt der Verein eine «ziemlich kategorische Absage». 1880 legte er ein neues Projekt vor, das dann in reduzierter Form realisiert wurde. Verschiedene liebevoll gezeichnete Entwürfe aus dieser Zeit werden im Stadtarchiv als Depositum des Stadtvereins aufbewahrt. Der ausgeführte Zustand nach dem Bau des Aufnahmegebäudes von 1878 und vor der Errichtung des Hotels Steinbock (1899–1901) ist auf einer panoramaartig angelegten Fotografie überliefert.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts scheint sich der Platz wieder in schlechtem Zustand befunden zu haben: «Mit Befriedigung konstatieren wir, dass mit der von uns schon lange geforderten Sanierung der misslichen Verhältnisse beim Bahnhofplatz so eben begonnen wurde». 1910/11 wurden auf dem Bahnhofplatz «mit Einwilligung der Schweizerischen Bundesbahnen» Alleebäume gepflanzt. «Die Bäume scheinen gut zu gedeihen und dürften, wenn einmal ordentlich entwickelt, den gewünschten Schatten spenden, sowie die dort herrschende grosse Staubplage etwas mildern.»
Kopfbahnhof und erneute StandortdiskussionIm Auftrag des Stadtrates von Chur veröffentlichte alt Oberingenieur L. Bösch im Oktober 1911 ein «Gutachten über die Erweiterung, bzw. den Umbau des Bahnhofes Chur». Bösch empfiehlt für den Personenverkehr einen Kopfbahnhof mit je drei Gleisen für die SBB und die RhB. Die Breite dieses Bahnhofteils entspricht nach seinem Vorschlag der Länge des Aufnahmegebäudes. Für den Fall, dass das Ziel eines Kopfbahnhofs nicht zu erreichen sei, favorisiert er einen besonderen Güterbahnhof nördlich der Roter Turm-Strasse. Das Stadtarchiv besitzt zwei Pläne, die vermutlich zum Gutachten von Bösch gehören. Als Eintragungen auf dem zweiten Hofer-Plan zeigen diese sehr deutlich die Konsequenzen auf, die ein Kopfbahnhof für die Überbauung des Rheinquartiers gehabt hätte.
Im Jahre 1912 wandten sich der Stadtpräsident und der Stadtschreiber namens des Stadtrates an die Kreisdirektion IV der Schweizerischen Bundesbahnen in St.Gallen. Aus dem Expropriationsplan der Bahngesellschaft von 1911 sei abzulesen, welches Land diese für eine Bahnhoferweiterung bevorzuge. Wie die Anordnung der Bauten geplant sei, habe man der Stadt trotz zweimaliger Anfrage nicht mitgeteilt. Weder der Platz südlich des bestehenden Güterschuppens noch das von der Bahngesellschaft angekaufte Land zwischen Friedhof-, Plessur- und Segantinistrasse könne für die Anlage eines neuen Güterbahnhofs in Betracht fallen. Die Stadt werde deshalb demnächst ein eigenes Projekt für eine Bahnhofanlage vorlegen.
Am 12. Juni 1912 legten die drei Mitglieder der Bahnhofkommission W.Neuscheler, Schäfer und Trippel ihren Bericht zur Bahnhoffrage vor. Statt eines Kopfbahnhofs postulieren sie die Verlegung des Bahnhofs um etwa 400 Meter gegen die Rheinwiese zu. Ein Kopfbahnhof biete zwar eine günstige Ausdehnungsmöglichkeit, in dem alle Quartiere direkte Verbindungen zur Altstadt erhielten. Ein Nachteil seien jedoch die langen Unterführungen der Ringstrassen unter dem Bahnhof hindurch; zudem würden bis zu 15 Meter hohe Dämme die Rheinebene zerschneiden.
Auf den 20. Februar 1913 ist der 23 Seiten starke Bericht «Gutachten & Begründung zu einem Verlegungsobjekt» der Ingenieure A. Salis und Dr. A. Meuli datiert, die sich für eine Verlegung des Bahnhofs auf die Rheinwiesen einsetzen. Damit liessen sich die in Entwicklung begriffenen Aussenviertel sowohl mit der Altstadt, als auch unter sich und mit dem neuen Bahnhof einwandfrei verbinden. Der Nachteil der grösseren Entfernung von der alten Stadt dürfe in Kauf genommen werden. Bei 6 bis 7 (Geh-) Minuten vom Stadtzentrum (Postplatz) zum Bahnhof habe man im Vergleich zu anderen mittelgrossen oder grösseren Städten keinen Grund zur Klage. Zudem könne das zur Folge haben, dass die Einrichtung eines elektrischen Tramdienstes in sichere Aussicht rücke.
Mehr als bestätigt haben sich die Voraussagen der Autoren zur Stadtentwicklung: Im Weiteren darf dabei nicht ausser Acht gelassen werden, dass schon auf Grundlage der heutigen Verhältnisse für einen recht erheblichen Teil der Churer Einwohnerschaft der neue Bahnhof gemäss dem vorliegenden Verlegungsprojekt günstiger, d.h. näher zu liegen kommt, als dies beim jetzigen Bahnhof der Fall ist. In dieser Lage befinden sich beispielsweise sämtliche Bewohner des äusseren Lürlibades, der äusseren Loestrasse, der Masanserstrasse vom Rigahaus weg, ferner das untere Bündte- und Rheinstrasse-Quartier, der ganze Stadtteil unterhalb der Gürtelstrasse und endlich das zukünftige, der Bebauung zu erschliessende Gebiet nördlich des neuen Bahnhofes auf den sogenannten «Wiesen». Verhältnismässig mehr als die Bevölkerung in Zentrum der Stadt, wird die Einwohnerzahl in diesen äusseren Quartieren zunehmen und damit auch die Summe der Interessen im Hinblick auf die neue Entfernung zum Bahnhof.
Im Zusammenhang mit den Neubau-Bestrebungen der Zehnerjahre stehen zwei perspektivische Entwürfe für ein Aufnahmegebäude, die sich im Besitz des Stadtarchivs befinden. Stilistisch knüpfen sie an die Nachjugendstil-Architektur Karl Mosers an. Der dominierende pavillonartige Teil, der vermutlich die Schalterhalle aufnehmen sollte, erinnert bei der einen Variante an Mosers Aula der Universität Zürich (1911–1914), bei der zweiten, die eine verglaste Perronhalle sichtbar werden lässt, an Bilder Giorgio de Chiricos. Umso interessanter wäre es, den Verfasser zu kennen.
Schlussendlich fruchteten alle Bemühungen nichts: Der Bahnhof blieb am alten Ort. Von 1914 an musst er zusätzlich die Chur-Arosa-Bahn bedienen. 1926–1928 wurde die Bahnhofanlage durchgreifend um- und ausgebaut. Die Geleise Richtung Reichenau verlegte man zu einer direkteren Fortsetzung des von Landquart einmündenden Stranges. Als grosse neue Werke entstanden die Strassenbrücke Friedau, die Bahnüberführungen über die Plessur und über die Sägenstrasse sowie die neuen Geleiseanlagen zwischen Friedaubrücke und Plessur. Die Bahnsteige wurden von zwei auf vier vermehrt; zwischen Bahnhofplatz und Gürtelstrasse legte man eine Personenunterführung an. Die Hochbauten wurden erweitert und renoviert. 1986 errangen die Architekten Richard Brosi und Robert Obrist den ersten Preis im Ideenwettbewerb für einen neuen Bahnhof. Ihr Projekt sieht als zentrales Motiv eine grosse, transparente Bahnhofhalle vor. Mit den Bauarbeiten wurde im Bereich der Bahnpost 1990 begonnen.
Churer Stadtgeschichte Band 2, 1993
Chur 1926Fotoalbum
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